Eine Wiederentdeckung des Guggolz-Verlags ist der schwedische Naturschilderer Harry Martinson, dessen Buch „Schwärmer und Schnaken“ hier kurz vorgestellt sein soll.

Der Naturschilderer ist ein Künstler, der, auf eine Weise, die sie neu erscheinen lässt, die alten einfachen Wahrheiten mitteilen kann, dass das Gras grün ist, der Kuckuck ruft und die Sonne auf dem See glitzert

Harry Martinson, Schwärmer und Schnaken, hier „Über Naturschilderung“

Harry Martinson war ein solcher Künstler. Und mir bis dahin völlig unbekannt. Dabei war der 1904 in Schweden Geborene Nobelpreisträger, auch wenn ihn diese Auszeichnung letztlich wohl das Leben kostete. Martinson war Autodidakt, wurde in Kinderheimen groß, verdingte sich bei den örtlichen Bauern und fuhr schließlich zur See, bis er mit 23 Jahren wegen eines Lungenleidens wieder nach Schweden zurückkehrte. Seine Naturgedichte und Essays wurden in Schweden vielfach ausgezeichnet, eines seiner Poeme ist sogar in das Psalmbuch der schwedischen Kirche übernommen.

Jetzt hat der Berliner Guggolz-Verlag (wie viele herrliche kleine Verlage gibt es eigentlich, die ich nicht kenne) unter dem Titel „Schwärmer und Schnaken“ einige der Natur-Essays von Martinson neu editiert, übersetzt von Klaus-Jürgen Liedtke.

Hochgewachsene Stauden, Ameisenhügel und Eintagsfliegen

Die Naturschilderungen, die sich dem Schwarzspecht, dem Erdgeruch, dem Kerbel oder den Fichten im Sturm widmen, gerinnen nie zur falschen Idylle, da ist kein Hauch von „Disney“ zu spüren. Es wird gemordet und gemeuchelt, vom Schrifststeller beschrieben im Sinne einer aufklärenden Schilderung der natürlichen Wirklichkeit. Zum Beispiel, wenn Martinson den Ausgang des Kampfes einer Wespe mit einer Bremse beschreibt.

Die Spuren sind abschreckend. Abgetrennte Flügel, Hinterteile und Köpfe liegen im Gras…

Harry Martinson, Schwärmer und Schnaken, hier „Menschen und Insekten“

Für mich, der ich die Natur sehr gern fotografiere und ihren Zauber, ihre Brutalität und ihre Widersprüchlichkeit als optisches und emotionales aber wortloses Spektakel erlebe, sind die Schilderungen eine kleine Offenbarung. Wenn Martinson zum Beispiel die elektrisierende Stimmung eines Sommertages vor dem nahenden Gewitter beschreibt.

Das Geräusch, das folgt, ist scharf und ritschend, wie wenn man mit einem einzigen weit ausholenden Griff ein ganzes Laken der Länge nach zerreißt, verstärkt sich dann zu einem Donnergrollen …

Harry Martinson, Schwärmer und Schnaken, hier „Dürre“

Oder seine Schilderung der „Drei schönen Schmetterlinge“. Im Sommer suchte der Künstler immer nach der blühenden Kratzdistel, dort fand sich zuverlässig „das schöne Widderchen“:

… ein seltsam dunkler, blaugrünblauer Schmetterling mit leuchtend karmesinroten Flecken auf den Flügeln…

Harry Martinson, Schwärmer und Schnaken, hier „Drei schöne Schmetterlinge“
Möglicherweise ein Sechsfleck-Widderchen, das auch Blutströpfchen genannt wird.

Im Buch geht es auch um andere Themen

Die Essays des 216-seitigen Buches umfassen auch andere Themen: Über den Tod geht es da, im „Wasserbrief“ schildert Martinson seine Erlebnisse als Seefahrer, wobei die Schilderungen des Walfangs einem aus heutiger Sicht schon den Atem stocken lässt. Die Stücke sind laut Druckvermerk zwischen 1937 und 1939 in Schweden veröffentlicht worden. Umso moderner und erstaunlicher muten dann Sätze an wie dieser:

Noch vor zwanzig Jahren konnte man sich befreit fühlen, wenn man zu Fuß auf der Landstraße lief. Jetzt ist dieses Gefühl unmöglich zu erlangen. Man muss ständig aufpassen und auf der Hut sein vor Überraschungen, Lebensgefahr, Tempo und Lärmpegel.

Harry Martinson, Schwärmer und Schnaken, darin „Brief“

Sprachmächtiger Naturversteher

Schmunzeln musste ich bei der Passage, als Martinson schildert, welches Fieber den Amateurforscher überkommt, wenn er eine bisher nicht gesichtete Art entdeckt. Abends dann beim Nachschlagen in den Handbüchern steigt die Aufregung noch, bis sich letztlich der Schmetterling als altbekannt, oft beschrieben und überaus häufig entpuppt.

Martinson, um die Andeutung vom Beginn noch aufzulösen, wurde 1974 der Nobelpreis für Literatur verliehen. Das Problem: Er war seit 1949 selbst Mitglied der Akademie, die die Preisträger kürte. Obwohl bis dahin sehr beliebt, erlebte Martinson das, was man heute einen „Shitstorm“ nennen würde. Er erholte sich davon nicht und setzte seinem Leben ein Ende. In der NZZ findet sich eine Würdigung des Autors.

Mein Fazit: Ein spannendes Buch für Naturliebhaber, mit interessanten Einblicken in die Denkwelt eines Menschen der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der den Faschismus als die vernichtende Gefahr der Zeit erkennt und beschreibt:

Es ist die große Emigration in den Tod, die jetzt den Völkern bereitet wird.

Harry Martinson, Schwärmer und Schnaken, darin „Wasserbrief“

Schwärmer und Schnaken

Harry Martinson

OT: Svärmare och harkrank (1937, 1938, 1939)
Aus dem Schwedischen von Klaus-Jürgen Liedtke
Nachwort von Fredrik Sjöberg
219 Seiten, € 22
Gebunden, fadengeheftet und mit Lesebändchen
ISBN 978-3-945370-29-2